(Spoiler)
Drei Jahre zuvor drehte Stegani den flirrend schönen, melodramatisch durchwobenen "Sommer voller Zärtlichkeit" mit Ornella Muti, der vor zwei Jahren in Frankfurt bei Terza Visione lief. Der melodramatische Exzess ist geblieben, Romantik und Erotik bleiben auf der Strecke. Hier wird tief in den Morast der Misogynie gegriffen - und man ahnt, spürt, fürchtet: Das ist durchaus Ausdruck der Zeit, nicht im Sinne von "so tickten die Leute damals halt", sondern der gesellschaftlichen Realität damals wirklich nachempfunden. Die erste Szene: Massenvergewaltigung. Dann Straßenstrich, der nächste Übergriff. Stegani zeigt von Anfang an eine bösartige, gefährliche Welt.
Das mag einerseits mit Blick auf die zynische Schaulust des historischen Bahnhofskinos ein Zugeständnis sein, es fehlt dem Film aber auch nicht an sozialem Bewusstsein - manchmal schlägt es voll zu, mal bleibt es Markierung. Sehr eindeutig spiegelt Stegani die Schattenwelt des Verbrechens als einen Spiegel der Gesellschaft. Die im Italien um 1970 eine zum Zerbersten angespannte war.
Fokus auf Paolo Mancuso (Antonio Sabàto): Süditaliener, aufgestiegener Clanboss in Mailand, im nördlichen Italien. Was man wissen muss: Zwischen dem wohlhabenden Norden und dem armen Süden des Landes stehen erhebliche Vorbehalte, die an Rassismus grenzen, wenn sie diese Grenze nicht sogar überschreiten. Paolos erster Auftritt: Im schnittigen Mantel, Silhouette gegen das Licht. Man könnte einen Staatsanwalt in dieser Silhouette vermuten, einen Franco Nero. Der Mantel bleibt aber Distinktionsgeste: Er hat es zu etwas gebracht. Mit Prostitution, Drogen.
Es herrscht die Sprache der Gewalt: Territoriale Bandenrivalitäten. Ein Anschlag auf Paolo schlägt fehlt (wenn sein zuvor sehr teurer, als Schauwert in Szene gesetzter Wagen in Flammen aufgeht, wird das Gefährt im Schnitt sehr deutlich durch ein günstiges Fabrikat ausgetauscht - der Charme einer günstigen Produktion), er flüchtet sich in ein Labor, wird von einer Ratte gebissen, trägt fortan einen Virus in sich. Ein Tag bleibt ihm, dann wird er infektiös und sterbenskrank. Das weiß die Polizei, die ihn sucht, das weiß das Radio, das weiß fortan auch er.
Ein Mann wird gejagt, ein Mann jagt selbst: Deutlich inspiriert von Kazans "Panic in the Streets" (1950), lässt Stegani Paolo fliehen und rächen zugleich. Wie man weiß, dass es auf ein melodramatisches Ende zwangsläufig hinauslaufen muss, ist die empathische Leistung des Films - mit einem Scheusal von Mensch mitfiebern - nicht eben klein. Es gibt, was man am harten italienischen Thriller liebt und schätzt: Verfolgungsjagden ohne Rücksicht auf Verluste durch Mailands Innenstadt, moralische Ambiguitäten, grimmige Morde, bösartigen Verrat, winselnde Gegner im Angesicht des Todes.
Der Showdown - Tour de Force - geht quer durch die Stadt, über einen Schrottplatz, durch den Salon der Verräter, mündet schließlich im Slum der in Holzhütten gepferchten Süditaliener. Nicht verfeindete Banden, nicht die Polizei, nicht das Virus - seinesgleichen richtet/erlöst Paolo. Auch deshalb, weil er, wenn man so will, die Seiten gewechselt hat - vom Ausgestoßenen zum Assimilierten. Klassenverrat, melodramatisch aufgelöst. Am Ende: eine Plastikfolie über dem mutmaßlich infektiösen Leichnam.
All das ist dynamisch und fürs Italo-Crime-Kino dieser Tage erstaunlich frei von dramaturgischen Hängern erzählt. Dem rohen Konzept des Italo-Thrillers entreißt Stegani Raum für Schwermut, Emotionen - nicht zuletzt, wenn Paolo und seine Ex-Frau (Nicoletta Rizzi) Bilanz ziehen: Hätte man nicht doch verarmt bleiben sollen? Der Soundtrack von Gianni Marchetti, keiner der sonst üblichen Italo-Verdächtigen, pumpt in besten Momenten das Geschehen mit funky Puls an. Sabátos Schnauzer zum Trotz: Kein Reißer von Merlis Gnaden, aber allemal sehenswerter Italo-Kost.
(DVD/Erstsichtung, OmeU)