Liebe, so schön wie Liebe (Klaus Lemke, Deutschland 1971)

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In Großaufnahme kullern Sylvie (Sylvie Winter) die schönsten Tränen des deutschen Kinos der 70er Jahre über die Wange. Nach zwei Jahren ist Schluss mit ihrem Freund, weil der zu viel Klavier spielt. Wenig später heiratet er eine von Sylvies Freundinnen. Die Hochzeitsgesellschaft tanzt im Grünen, lacht ausgelassen, obskures Fußballwissen macht die Runde. Was macht Sylvie? Weint im Gras.

Dabei klingelt das Glück schon bald an der Tür von Sylvies wilder Mädchen-WG im aufgeräumten Plattenbau: Ob das Fernsehgerät auch angemeldet sei. Ist es natürlich nicht. Doch der Prüfer vom Amt (Rolf Zacher, blutjung) ist ein Betrüger, der Strafgeld abkassieren will. Eine umwerfend chaotische Szene später, in der die Mädchen zwischen Bade- und Wohnzimmer gegen den vermeintlichen Behördenmann paktieren, ist Sylvie in ihn verliebt. Schon zieht er ein, noch etwas später ziehen beide mit anderen aufs Land: Hippiekommunenglück im Spätsommer, mit Tieren, Kindern, Zirkus.





1971 dreht Klaus Lemke diesen verspielten, ungeheuer freien Film über das Sichverlieben und das Verliebtsein, einen Film, in den man sich verlieben kann, der zeigt, wie man miteinander herumalbert, Grimassen schneidet, Pläne schmiedet, die vielleicht gelingen, vielleicht auch nicht, weil sie es ja auch eigentlich nicht müssen.

Der Film kennt kein Ziel, keinen dramatischen Konflikt, keine persönliche Entwicklung: Ballast, dessen man sich fröhlich entledigt. Der Film steigt ein ins Leben dieser Leute, am Ende steigt er wieder aus. Eine Zeitblase, in der manches geschieht, vieles im Sande verläuft: ein Traum vom Leben, das sich um Arbeit und Wohnung nicht zu kümmern braucht, von der antibürgerlichen Lebensweise, die nicht zu verbitterten Exerzitien gerinnt, sondern ein entspanntes Glücksversprechen bleibt. Und immer wieder: Tanz und Musik, Tränen und Lachen, Flora und Fauna, im schönsten Schuss-Gegenschuss.





Um das Paar sind Leute gruppiert, die fast willkürlich vorbeischauen: Lemke selbst spielt einen Dandy, der auf Münchens Straßen frech die Hunde klaut. Rolf gabelt ihn im Park auf und philosophiert mit ihm über Hunde und Enten. Der unvergleichliche Marquard Bohm spielt einen Veterinär, der minutenlang über Tiere bramarbasiert.

Überhaupt wimmelt es rings um dieses Slacker-Familienbild von Tieren: Während Sylvie und Rolf sich gegenseitig fragen, was sie mal werden wollen, stehen sie auf einer grünen Wiese, vor ihnen ein Pony. Wo kommt es her? Egal. Klaus Lemke verstreut Bilder, Inserts, Töne, wie es ihm gefällt. Man wundert sich, wie verkniffen der deutsche Autorenfilm damals das Kino modernisierte – Lemke gelingt es, scheint’s, mit links.

Meist denkt man an den kernigen „Rocker“, wenn es um Lemkes Frühwerk geht. Doch gibt es darin, in wunderschönen Filmen wie „Liebe, so schön wie Liebe“, noch einen anderen, einen zärtlichen, verspielten, verträumten Lemke zu entdecken.





(2012 zuerst veröffentlicht in der taz)

Mehr zum Film:

- Lukas Foerster
- Filmportal


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