Suspiria (Dario Argento, Italien 1977)

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Anlässlich des anstehenden deutschen Kinostarts von Luca Guadagninos Remake von Dario Argentos "Suspiria" stelle ich gerne nochmal meinen ursprünglich 2015 in der taz erschienenen Text über das Original online.





„Suzy Bannion hatte sich entschlossen, ihre Ballettausbildung in der berühmtesten Tanzschule Europas abzuschließen. Ihre Wahl fiel auf die Tanzakademie in Freiburg. Eines Tages, um neun Uhr morgens, ließ sie den Kennedy-Airport in New York hinter sich. Sie erreichte München um zehn Uhr abends.“

Es sind nur wenige, über den schwarzen Vorspann eingesprochene Worte, die in diese Erzählwelt einführen. Fast kunstlos schweben sie zwischen Sachlichkeit und geheimnisvoller Verheißung und ebnen damit doch den Weg für einen Film, der für Freunde des manischen Genrekinos italienischer Provenienz eine Art Heiligen Gral darstellt.



„Suspiria“ (1977) führt in ein Deutschland der 70er, wie man es aus dem Neuen Deutschen Film oder den alten „Tatort“- und „Derrick“-Folgen nicht kennt: Ein nächtlich-bizarres, vom Rest der Welt sonderbar abgeschiedenes Märchenland jenseits von Gut von Böse, in dem die Gespenster und Märchen der Romantik noch immer spuken, in dem selbst noch moderne Flughafenarchitektur im irrlichternden Farbspiel wie unheimlicher Gothic wirkt.

Ersonnen haben dieses Fantastik-Deutschland Dario Argento, ein Meister des Italokinos und der hohen Kunst der filmischen Drastik, und dessen damalige Gattin Daria Nicolodi.

Und die gehen rasant in medias res: Im Nu offenbart sich Deutschland der jungen Amerikanerin (Jessica Harper) im Allgemeinen, die in mysteriösem Art-déco-Chic gehaltene Ballettschule im Besonderen als unheimlicher, unwirtlicher Ort. Unter dem an Nazi-Härte erinnernden Drill der Lehrerin bildet sich eine Hackordnung unter den Schülerinnen, von denen eine spätnachts panisch in die nahen Wälder flüchtet.



Unheimliche Dinge geschehen – von einem Madenregen in den Schlafgemächern bis zu Morden, die an brutale Rituale erinnern. Auch aus Angst ums eigene Leben müht sich Suzy, Licht ins Dunkel dieser Rätselwelt zu bringen – und stößt dabei auf arkanes Wissen: Ein uralter Hexenzirkel hat sich hier eingenistet, um von Freiburg aus das Böse in die Welt zu bringen.

Was nach John-Sinclair-Groschenheft klingt, entfaltet in seiner filmischen Konkretion eine selten erlebte Kraft: Gestützt vom wuchtigen Soundtrack der in Hauntology- und Witchhouse-Kreisen zuletzt wieder gefeierten Italoband Goblin, ist „Suspiria“ die ganz große ProgRock-Oper. Um Subtilität an keiner Stelle bemüht, dafür umso interessierter am breiten, in knalligsten Grundfarben gehaltenen Strich: Warum Nuancen suchen, wenn man gleich das ganze Bild in sattes Tiefrot tauchen kann?


Argento fetischisiert seine Erzählwelt bis ins Letzte, findet noch in allen Nischen und Hinterzimmern der verwinkelten Freiburger Tanzschule Potenziale zum sinnlich-derben Kino-Exzess: Architektur, Set-Design, Sound, Licht, Morde – alles formbares Material für den italienischen Regie-Ekstatiker, alle Regler voll auf Anschlag.

Wer hier mit kleinlichen Qualitätskriterien ankommt, wird sich an mangelnder Plausibilität, darstellerischen Leistungen oder schwelgerischen Gewaltdarstellungen reiben. Eigener Verlust – wer solche Maßstäbe anlegt, bringt sich um den Genuss einer Reise ins Innere eines rein nach filmischen Regeln konstruierten Kristalls, in den von außen psychedelisch-okkulte Farben strahlen.



Und wer in den ja ohne weiteres kreativ in Szene gesetzten Morden den Untergang des Abendlandes wittert, wird als Nächstes wohl auch Streichungen bei Homer und den Brüdern Grimm vorschlagen, zu deren Geschichten „Suspiria“ ein weitaus näheres Verhältnis unterhält als etwa zum grimmig-naturalistischen US-Splatterfilm der 70er Jahre.

Tanz und Hexen, junge Frau und Märchenwelt – wie eine Art Anti-Disneyfilm nimmt sich dieser Filmrausch aus. Und dabei gelingt ihm noch das nicht eben kleine Wunder, als mit dem Bechdel-Test mustergültig konform gehender Film einerseits zwar Morde – nicht nur – an Frauen ausführlich in Szene zu setzen, aber am Ende eben doch als krypto-feministischer Film über Selbstermächtigung zu bestehen.

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